Wie ist es, in Zeiten von Covid als Tourist in der Lagunenstadt unterwegs zu sein? Hat man die Gässchen und Plätze fast für sich allein? Oder ist die Reiselust bei den Menschen trotz der Coronakrise groß genug, um der Stadt einen Besuch abzustatten? Ich wollte es genauer wissen und nutzte im Rahmen einer Pressereise meinen letzten zur freien Verfügung stehenden Tag für einen Abstecher nach Venedig.
Wiedersehen mit einer weltweit einzigartigen Stadt
Seit meiner Kindheit habe ich die faszinierende Stadt auf dem Wasser unzählige Male besucht. Das letzte Mal allerdings schon vor über zehn Jahren. So bin ich gespannt, was sich, abgesehen von Corona, sonst noch verändert hat.
Die Vorfreude auf das Wiedersehen ist groß. Gondeln statt Autos, Vaporettos statt U-Bahnen, Kanäle statt Straßen und eine bewegte Geschichte. Bella Venezia ist weltweit einzigartig. Inmitten einer Lagune, umgeben von einem flachen Binnenmeer, wurde die Stadt auf mehr als 100 Inseln erbaut. Diese sind durch über 400 Brücken miteinander verbunden.
Es ist Vormittag an diesem warmen Spätsommertag im September als ich am Piazzale Roma ankomme, dem einzigen Platz, auf den Autos und Busse zufahren können. Ansonsten findet der Verkehr ausschließlich auf dem Wasser statt. Autos, Motorroller und Fahrräder sind in allen anderen Bereichen der Stadt verboten. Sogar Rettungsdienste, Polizei und Feuerwehr sind mit Booten unterwegs. Vor langer Zeit dienten Gondeln als Fortbewegungsmittel, heute sind sie eine beliebte Touristenattraktion. Die Einheimischen nutzen überwiegend die Vaporetti oder Motorboote. Mehr als 150 Kanäle dienen als Straßen. Über 3000 autofreie Gassen und Gässchen laden zum Flanieren ein.
Auch im Freien viele Menschen mit Mundschutz
Komplett menschenleer ist es nicht. Auffallend viele Leute tragen auch auf der Straße einen Mundschutz. Zu tief sitzt das durch die Coronakrise ausgelöste Trauma. Italien war als erstes europäisches Land massiv von Covid-19-Fällen betroffen und hatte sehr viele Tote zu beklagen. Im Freien sind in Venedig zum Zeitpunkt meines Besuchs überall auf belebten Plätzen die Schutzmasken von 18h abends bis 6h früh vorgeschrieben, tagsüber jedoch nicht.
Ich mache mich auf den Weg, vorbei an der Stazione Ferroviaria Santa Lucia, dem Bahnhof, dann weiter über die Hauptwege Richtung Ponte di Rialto, der Rialtobrücke. Prachtvolle historische Gebäude, umgeben von tiefblauem Wasser, wohin ich blicke. Im Vergleich zu früher kommt mir das Wasser tatsächlich klarer vor, die Farbe intensiver.
„Muranoglas“ made in China
In Erinnerung geblieben sind mir die vielen kleinen Souvenir-Shops. Das beliebteste Mitbringsel ist wohl Handgefertigtes aus Muranoglas: Vasen, Schmuck, Dekoratives. Doch die bunten Glaserzeugnisse werden größtenteils nicht mehr in den Glasbläsereien von Murano produziert, sondern in China. Echtes Muranoglas hat seinen Preis – ein höherer Preis bedeutet allerdings nicht automatisch Echtheit. Original und Imitation sind für den durchschnittlichen Touristen kaum bis gar nicht zu unterscheiden. Die Unmengen von angebotenen Souvenirs könnten in den wenigen Glasbläsereien auf der Insel Murano jedenfalls nicht produziert werden.
Wer Wert auf originale, in Murano gefertigte Glasprodukte legt, sollte sich also vorab genau informieren, auf was es zu achten gilt. Die echte venezianische Glaskunst mit einer über 700 Jahre alten Tradition ist mittlerweile vom Untergang bedroht. Nicht nur durch die chinesischen Billigprodukte, sondern auch aufgrund der Coronakrise steht die Branche vor dem Aus.
Belebtes Treiben auf der Rialtobrücke trotz Corona
Mein Spaziergang führt vorbei an der berühmten Ponte di Rialto. Hier herrscht Gedränge trotz Corona. Menschen warten geduldig, um Fotos oder Selfies schießen zu können. Ich stelle mir vor, wie es in Nicht-Corona-Zeiten ist …
Ich schlendere weiter, lasse mich treiben. Der Weg führt durch zahlreiche Gassen, mal etwas breiter, mal schmäler, über kleine Brücken und idyllische Plätze. Verlockend sind die schön gestalteten Schaufenster der zahlreichen Läden. Ausgefallenes, Handgefertigtes, Kulinarisches, Edles – dazwischen auch Billigläden mit Kleidung, Accessoires und allerlei Ramsch. Im Unterschied zu früher kommen die Verkäufer oftmals aus China, Bangladesch oder Pakistan, ebenso die Händler an den Souvenirständen. Auch die Moderiesen H&M und Zara haben sich mittlerweile hier niedergelassen.
Nur wenige Menschen auf dem Markusplatz
Etwas später erreiche ich den Markusplatz. Unzählige Stühle und eine Bühne versperren den Großteil des Platzes. Hier wird am Abend unter strengen Sicherheitsvorkehrungen das Konzert des Chores und des Orchesters des Teatro La Fenice stattfinden.
Ganz leer ist der Piazza San Marco zwar nicht, aber doch viel leerer als sonst. Wo sich sonst die Menschenmassen tummeln und Gedränge herrscht, lässt es sich jetzt gemütlich flanieren.
In der prallen Mittagssonne stehen Menschen mit Schutzmasken und einem Meter Sicherheitsabstand Schlange vor dem Eingang zum Campanile, dem Glockenturm. Es geht nur schleppend voran, denn mit einem Fiebermesser überprüfen Security-Mitarbeiter die Temperatur jedes Einzelnen. Nur ohne Covid19-Symptome wird Einlass gewährt.
Unterwegs mit dem Vaporetto
Nach einem Bummel über den Platz beschließe ich mit dem Vaporetto zurückzufahren. Der Weg zur Einstiegstelle führt vorbei an Souvenirständen mit Blick auf die Gondeln und das Meer, im Hintergrund die Kirche San Giorgio Maggiore. Das Vaporetto ist das wichtigste öffentliche Verkehrsmittel in Venedig, 24 Stunden täglich in Betrieb und ein Must für jeden Venedig-Besucher. Ich genieße den Fahrtwind, atme die frische Meeresluft ein, bewundere die alten Häuser und beeindruckenden Paläste vom Wasser aus.
Entspanntes Bummeln abseits der Touristenpfade
In Sant‘ Angelo steige ich aus. Mir verbleiben noch ein paar Stunden Zeit bis zum Abflug. Ich beschließe, abseits der Hauptwege zu spazieren, um das ursprünglichere Venedig zu erleben. Das tue ich auch in anderen Städten immer wieder gerne. Jedes Mal entdecke ich Neues und Authentisches, im besten Fall komme ich auch mit Einheimischen in Kontakt.
Abseits der Touristenpfade ist ja prinzipiell weniger los, doch gerade jetzt während der Coronakrise sind auch dort noch weniger Menschen unterwegs, als ich von früher gewohnt bin. Ich wandle durch teils menschenleere Gässchen. In einer kleinen Bar gönne ich mir einen Espresso. Der Barista kommt ursprünglich aus Bangladesch.
Kaum mehr Venezianer in Venedig
Ich komme mit zwei Venezianern ins Gespräch. Warum jetzt viel weniger Italiener in den Geschäften und Bars arbeiten als früher, möchte ich wissen. Sie erzählen mir, dass vieles von den Chinesen aufgekauft wurde. „Die Italiener haben alle kein Geld mehr“, meinen sie achselzuckend. „Es gibt bei uns immer weniger Venezianer, fast alle ziehen ins Umland.“ Besonders junge Leute verlassen die Stadt. Viel zu hoch sind die Mieten, geschweige denn die Preise für Wohnungseigentum.
Auf meinem Rückweg in Richtung Piazzale Roma sticht mir ein Erdgeschossfenster ins Auge. Flohmarktware stapelt sich auf dem Fensterbrett: Bücher, Geschirr, daneben eine Vase und ein kleines Gemälde. Hier hat sich jemand etwas Besonderes einfallen lassen: Gegen eine Spende können die Dinge mitgenommen werden – in Corona-Zeiten eine Unterstützung für bedürftige ältere Menschen und arbeitslose Eltern mit kleinen Kindern. Speriamo che passi presto questo periodo brutto steht auf dem hinter dem Fensterglas angebrachten Zettel ganz unten – hoffen wir, dass diese schlimme Zeit bald vorbei ist.
Restaurants großteils leer
Allzuviel Zeit bis zu meinem Abflug bleibt mir nicht mehr, doch eine Pizza geht sich noch aus. Ich suche mir ein kleines Lokal in der Nähe des Bahnhofs. Es ist eine Gegend, die normalerweise stark von Touristen frequentiert wird. An den Tischen draußen sitzen drei Spanierinnen, die anderen sind leer. Wie es im Vergleich zu normalen Zeiten ist, frage ich den Cameriere. „Wir sind normalerweise ab 12 Uhr mittags bis spät abends immer voll. Jetzt eigentlich fast nie, außer manchmal zu den Haupt-Essenszeiten an den Wochenenden. Vor allem die Asiaten und Amerikaner fehlen. Aber auch aus Österreich und Deutschland haben wir viel weniger Gäste als sonst.“
Gerade jetzt lohnt sich ein Besuch
Bevor ich mich auf den Weg zum Airport Shuttle Bus mache, nutze ich die verbliebene Zeit noch für eine letzte kleine Spazierrunde. Ich genieße nochmals die Eindrücke, bin immer wieder fasziniert von der Einzigartigkeit und Schönheit dieser Stadt.
Obwohl man nun nicht mehr behaupten kann, dass die Stadt menschenleer ist, lohnt sich ein Besuch dennoch gerade jetzt. Langsam scheint sich Venedig nämlich wieder mit Touristen zu füllen und möglicherweise wird es nie wieder so „leer“ sein. Was Covid-19 anbetrifft, nimmt der Großteil der Italiener die Sicherheitsvorschriften sehr ernst. Italien gilt außerdem zurzeit nicht als Risikogebiet.
Insgesamt würde ich Venedig auch für einen längeren Aufenthalt als nur einen Tagesausflug empfehlen. Denn es gibt viel mehr zu sehen als den Markusplatz und die Rialtobrücke.
Text & Fotos: Nanja Antonczyk
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